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Das Amazon/eBay-Gesetz: Ein Schuss in die richtige Richtung? – Ein Interview mit dem BVOH

Seit rund zwei Jahren werden die Stimmen aus der Branche immer lauter und drängender, die vor der chinesischen Gefahr im heimischen Vorgarten warnen. Diese scheren sich nicht um gesetzliche Vorgaben, begehen Steuerbetrug und könnten so ihre Produkte zu Dumpingpreisen anbieten, so der Vorwurf. Das Bundeskabinett verabschiedete heute ein Gesetz, das ab 2019 die Marktplätze in die Pflicht nimmt. Aber geht der Schuss wirklich in die richtige Richtung?

Marktplätze sollen künftig für Umsatzsteuerbetrug bei Verkäufen über ihre Seiten haften. Das heute tagende Bundeskabinett beschloss einen entsprechenden Gesetzesentwurf, der laut Finanzminister Olaf Scholz geeignet ist, den Steuerbetrug im Onlinehandel zu stoppen:

„Wir beenden die illegale Praxis mancher Händler auf elektronischen Marktplätzen, die Umsatzsteuer hinterziehen und sich dadurch unlautere Wettbewerbsvorteile verschaffen.“

Sofern Bundestag und Bundesrat dem Gesetzesentwurf zustimmen, sollen ab 2019 die Onlinemarktplätze für die Umsatzsteuer ihrer Händler generell in Haftung genommen werden. Nur wenn die Unternehmen dem Finanzamt eine Bescheinigung über die steuerliche Registrierung der Verkäufer, die bei ihnen aktiv sind, vorlegen, haften sie nicht selbst. Internet World Business hat eine ausführliche Zusammenfassung zum Gesetzentwurfveröffentlicht.

Wir baten nun BVOH-Präsident Oliver Prothmann um seine Einschätzung. Der Bundesverband Onlinehandel e.V. (BVOH), vertritt quasi als Stimme der KMU-Händler deren Rechte und Sorgen gegenüber der Politik und Regierung in Berlin und Brüssel.

Als solche befürchtet der BVOH bereits seit Längerem, dass deutsche Onlinehändler diesem eigentlich begrüßenswerten Gesetz zum Opfer fallen könnten. Aber nicht weil sie Steuern hinterziehen, sondern aus ganz anderen Gründen, wie uns Oliver im nachfolgenden Interview ausführlich erläutert.

 

Oliver, das Gesetz zielt ja insbesondere auf Händler aus Ländern außerhalb der Europäischen Union, die über Marktplätze wie Amazon und eBay Produkte verkaufen, aber zu wenig oder keine Umsatzsteuer abführen. Kann das geplante Gesetz überhaupt die gewünschte Wirkung erzielen oder schießt es daneben?

Das Gesetz adressiert das Problem des Umsatzsteuerbetrugs auf einigen Onlinemarktplätzen. Leider findet eine grobe Überregulierung statt, indem nicht nur die Handvoll betroffene Marktplätze sowie deren wenige tausend Umsatzbetrüger adressiert sind, sondern alle Marktplätze (egal ob gewerblicher oder privater Handel) und alle Händler, also auch deutsche und europäische.

 

Aber was bedeutet das alles für deutsche Händler? Widerfährt ihnen nun Gerechtigkeit oder hat das Ganze auch für sie einen Pferdefuß?

Aus dem Finanzministerium hört man, dass man, um Diskriminierung einzelner Händlergruppen zu vermeiden, alle Händler in dieses Gesetz eingebunden hat. Dies bedeutet aber, dass mal wieder tausende, und in diesem Fall über 200.000 deutsche und europäische KMU-Händler von dem Gesetz betroffen sind und nicht nur die Umsatzsteuerbetrüger.

Einerseits ist der Aufwand für den einzelnen Händler nicht groß, denn er muss nur eine sogenannte Unbedenklichkeitsbescheinigung bei seinem Finanzamt beantragen und diese dann an die Marktplätze senden. Doch die Probleme liegen mal wieder in den Details:

  1. Der BVOH geht davon aus, dass es einer neuen Unbedenklichkeitsbescheinigung bedarf und nicht die bereits existierenden genutzt werden können. Durch das Gesetz gibt es neue Forderungen wie einen „Empfangsbevollmächtigten“, der sich in dieser Bescheinigung wiederfinden muss.
  2. Wenn das Gesetz erst Mitte Dezember veröffentlicht wird und zum 1.1.2019 gelten soll, sehe ich nicht, wie diese Bescheinigung in jedem Finanzamt vorliegen soll.
  3. Abgesehen davon müssen die Beamten und Sachbearbeiter erst geschult werden.
  4. Und zu guter Letzt kann ich mir nicht vorstellen, wie die Finanzämter gerade zum Jahreswechsel die Ressourcen haben sollen, für über 200.000 Unternehmer diese Bescheinigung samt Prüfung bis zum 1.1.2019 zur Verfügung zu stellen.

Daher fordert der BVOH mindestens eine Fristverlängerung für die deutschen Unternehmer.

 

Welche Auswirkungen wird das Gesetz auf die Marktplätze bzw. deren Umsätze haben?

Diese Frage ist schwer zu beantworten, denn es gibt noch keine klare Aussage, wie die sie vorgehen werden. Meine persönliche Einschätzung sagt mir, dass die großen und eigentlich ausschließlich betroffenen Plattformen Amazon, eBay und Wish eine Risikoabschätzung machen werden.

Im besten Fall werden sie die Händler auffordern, die Unternehmensdaten auf der Plattform mit Steuernummer und aktueller Adresse zu vervollständigen und dann auch eine Unbedenklichkeitserklärung hochzuladen.

Aber eine Prüfung dieses Papieres ist nicht möglich, also wird es diese nicht geben und damit wird kein Händler vom Handel ausgeschlossen werden können.

Natürlich hören wir bereits heute, dass das Gesetz in China für Diskussion sorgt und so wird es sicherlich den einen oder anderen China-Händler geben, der eine Steuernummer beim Finanzamt in Berlin Neukölln beantragen wird. Aber ich bin auch sicher, dass viele China-Händler diese Lücke im System ausnutzen werden.

D.h., für die eigentlich betroffenen Handvoll Marktplätze ist der Aufwand überschaubar, abgesehen davon, dass die Umsetzung in die Weihnachtszeit fällt.

Aber richtig schaden wird es den nahezu 100 anderen, insbesondere kleinen Marktplätzen, die ebenfalls das Gesetz umsetzen müssen. Die Realisierung wird technisch und finanziell einen hohen Aufwand bedeuten, ohne Nutzen für die Plattform. Eher werden Bestandskunden kündigen, als dass man Steuerbetrüger findet, weil auf diesen Marktplätzen keine sind. Hier fordert der BVOH das wenigstens die Marktplätze, die nur deutsche Unternehmen als Händler zulassen, vom Gesetz ausgenommen werden.

 

In Eurem Artikel BVOH warnt: Bundesregierung schaltet den Onlinehandel abfordert Ihr ja eine andere Vorgehensweise, wie laut Gesetzesentwurf geplant. Was ist Euer Vorschlag und inwiefern unterscheidet sich dieser vom derzeitigen Gesetzesentwurf?

Warum nutzt das Finanzministerium nicht bestehende und funktionierende Prozesse, um sofort die schwarzen Schafe zu identifizieren?

Der BVOH fordert folgende Vorgehensweise: Durch das neue Gesetz wird den Finanzämtern ermöglicht, nicht nur Daten einzelner Händler bei den Marktplätzen abzufragen, wie es heute schon möglich ist, sondern eine Gruppe von Händlerdaten.

Das bedeutet, man verpflichtet die Marktplätze dazu, monatlich eine Datei mit allen Händler- und Unternehmensdaten sowie deren Umsatzdaten an das Finanzamt zu senden. Das Finanzamt gleicht diese mit den eigenen ab und identifiziert sofort die Unternehmen, die nicht gemeldet sind.

Daraufhin fordert das Finanzamt den Marktplatz auf, diesen Händler sofort zu sperren und etwaige Gelder einzufrieren bzw. an das Finanzamt zu überweisen. 

In diesem Zug könnten zwei weitere Dinge geschehen. Das Finanzamt überprüft auch die Daten der privaten Verkäufer und kann so die Scheinprivaten ausfindig machen, was ein Marktplatz, aufgrund fehlender Kriterien, nicht kann. Des Weiteren kann das Finanzamt zusammen mit den Marktplätzen anhand der Daten Muster erkennen, um so zukünftig Steuermissbrauch früher zu bekämpfen.

 

Vielen Dank für das Gespräch!

Disclaimer: Wer sich mit diesem und anderen Themenrund um den E-Commerce auseinandersetzen möchte, dem sei der Tag des Onlinehandels am 30.8. in Berlinempfohlen, wo nicht nur, sondern auch, über dieses Thema und andere politische Fragen gesprochen wird.

 

Bildquelle: Gearstd @ Bigstockphoto

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