Die zwei (bis drei) Wege des Rechnungskauf – selber machen oder outsourcen
Um einen Kauf auf Rechnung im Shop anzubieten gibt es prinzipiell zwei Wege: Man kann einen Fullservice-Anbieter nutzen oder in Eigenregie vorgehen. Im letzteren Fall hat man die volle Kontrolle über alle Abläufe – und wichtiger noch: auch über seine Daten und das Kundenmanagement. Der Nachteil ist, dass man das Zahlungsausfall-Risiko ebenfalls selbst trägt. Weil dieses Risiko nicht vernachlässigbar ist, lohnt es sich in den meisten Fällen für das Risikomanagement externe Dienstleister zu nutzen. So kann bei der Bonitierung der Kunden auf eine sehr viel größere Datenfülle zurückgegriffen werden, um so bereits bekannte Problemkunden oder Betrugsmuster sicherer zu erkennen.
Während Händler bei der (weitgehend) „selbst gemachten“ Realisierung des Rechnungskaufes in der Ausgestaltung der Routinen meist sehr frei sind, sind eigene Steuermöglichkeiten bei der Nutzung eines Fulfillments naturgemäß unmöglich: Weil die Fulfillment-Anbieter selbst die volle Risikostreuung benötigen, um im kalkulatorischen Rahmen zu bleiben, unterliegen die Shophändler einer Anbindungspflicht. Das bedeutet, risikoarme Transaktionen – beispielsweise von Stammkunden – dürfen nicht am Fulfillmentsystem vorbeigeleitet und durch den Händler selbst abgewickelt werden.
Rechnungskauf in Eigenregie
Zu den notwendigen Voraussetzungen für eine Umsetzung in Eigenregie zählt darum auch ein gerütteltes Maß an Erfahrung als Onlinehändler und ein gutes „Bauchgefühl“. Dies allein reicht aber keinesfalls aus – ein vernünftiges Risiko-Management ist unabdingbar. Hierzu gehört zunächst eine Bestell-Vorsortierung (Scoring), hinter das eine Bonitierung geschaltet wird. Und schließlich muss ein wasserdichter Mahnlauf sowie, wo nötig, das Inkasso folgen. Für ein funktionierendes Risiko-Management ist es wichtig, bei der Bestellung wirklich alle Kundendaten aufzunehmen (und zu verifizieren!), die notfalls für ein Inkassoverfahren notwendig sind.
Ein entscheidender Hebel nicht nur zur Steuerung des Risikos, sondern auch zur Kostenreduktion liegt in der Vorsortierung der Bestellungen: Da Bonitätsanfragen die Marge massiv reduzieren, gilt es, nur tatsächlich risikobehaftete Bestellungen in die Bonitierung laufen zu lassen. Anhand des Scorings werden die Bestellungen daher vorsortiert. So können die Bestellungen von Stammkunden quasi „durchgewunken“ werden, gleiches gilt für Bestellungen durch Unternehmen. So werden je nach der Qualität der eigenen Kundendaten ScoreCards erstellt, über die die Berechnung des Risikowertes jeder neuen Bestellung erfolgt: Wenn beispielsweise Bestellungen mit Webmailer-Adressen ohne enthaltenen Namen oder Bestellungen bestimmter Produktkombinationen oder Postbox-Lieferadressen etc. häufiger zu Zahlungsausfällen führen, können solche Bestellungen automatisch in die Bonitätsprüfung gehen – oder es wird hier gar nicht erst die Bezahlung per offener Rechnung angeboten.
Allerdings: Händlern sollte klar sein, ganz ohne Ausfälle geht es im Onlinehandel nicht! Das ist jedoch kein alleiniges Phänomen des Onlinehandels. So muss der Stationärhandel trotz teurer Gegenmaßnahmen laut EHI aktuell mit einer durchschnittlichen Inventurdifferenz von 1,01% des Umsatzes leben: Ladendiebstahl und Schutzmaßnahmen zusammen kosten den Stationärhandel damit jährlich 1,3% des Umsatzes (rund 5,2 Milliarden Euro)!
Rechnungskauf outsourcen
Weniger Aufwand, kein Risiko: Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe Dienstleister, die die gesamte Rechnungsabwicklung übernehmen und dabei auch das Zahlungsausfallrisiko übernehmen. Dabei erfolgt der Geldfluss zudem zum festgesetzten Zeitpunkt (was jedoch nicht immer auch zeitnah bedeutet). Rechtlich gilt dabei das Prinzip, dass der Händler seine Forderungen mit der Entstehung komplett an den Dienstleister abtritt und dafür einen festgesetzten Anteil der Forderungssummen erhält, beispielsweise 96%. Zahlungsausfälle gehen durch den Forderungsabtritt dann zu Lasten des Dienstleisters.
Vor allem kleinere Online-Shops wählen laut EHI-Erhebung einen Rechnungskaufanbieter mit Marke (z.B. BillSAFE, Klarna, Billpay, Paymorrow, Sofortrechnung), der gegen Gebühren den gesamten Prozess übernimmt. Technisch werden dabei die Rechnungszahler im Shop-Checkout in der Regel – ähnlich wie bei Kreditkartenzahlungen oder PayPal auch – an das System des Dienstleisters „weitergereicht“ und die Bezahlung dort abgewickelt. Dies kann offen erfolgen, beispielsweise durch das Öffnen eines Popup-Fensters bzw. Layers über dem Shop-Checkout, oder „versteckt“ durch eine Vollintegration der Anbieterformulare in den Shop-Checkout. Allerdings: Wo Kunden in eine Geschäftsbeziehung mit dem Dienstleister übergeben werden, muss dies schon aus rechtlichen Gründen stets offen gelegt werden – zudem müssen die Shopkunden in diesen Fällen auch die AGB des Dienstleisters bestätigen!
Beim Wechseln in das Anbieter-System prüft der Dienstleister in Echtzeit die Identität des Kunden, seine Bonität sowie den Kreditrahmen und gibt danach die Garantiezusage. Wird die Forderung, beispielsweise wegen einer vermeintlich oder tatsächlich schlechten Kundenbonität vom Anbieter nicht übernommen, erfolgt meist eine Art Fehlermeldung, in der von „derzeit technischen Problemen“ gesprochen wird, wegen derer die gewünschte Rechnungsoption „momentan“ nicht angeboten werden könne. Wer möchte seinem Kunden schließlich sagen müssen, dass er abgelehnt wurde? Übrigens: Die tatsächlichen Gründe der Ablehnung seitens des Drittanbieters sind auch für den Shop-Betreiber selbst oft nicht einsehbar!
Meine Kunden sind Deine Kunden?
Viele Onlinehändler überschätzen das individuelle Ausfallrisiko, während sie die Risiken, die das Abgeben von Kundendaten und -kommunikation beinhaltet, gar nicht bedenken. Denn das Abtreten der eigenen Kunden an einen Fulfillment-Anbieter hat immer weitreichende Konsequenzen, dagegen ist das Ausfallrisiko nicht bei allen Shops wirklich so groß wie befürchtet. So ziehen nur manche Sortimente Betrüger an, andere Produktgruppen sind für Kriminelle (fast) völlig uninteressant (siehe auch das Händlerinterview in diesem Heft).
Besonders für Nischenshops gilt es daher zunächst einmal abzuschätzen, wie hoch das Risiko tatsächlich ist. Genau dies tut auch der Fulfillment-Anbieter, der seine Preise nach dem nach Grad des kalkulierten Risikos staffelt.
Auf der anderen Seite verliert der Händler durch die Abgabe der Rechnungskunden das Wissen um das Zahlungsverhalten eines wichtigen Teils seiner Kunden. Damit kann er auch kein eigenes Know-how rund um das Zahlungsverhalten und zur Einschätzung des realen Zahlungsausfallrisikos aufbauen. Organisatorisch entstehen bei Kunden mit wechselnden Zahlarten praktisch Lücken in der Kundenhistorie bezüglich des Zahlverhaltens.
Zudem kann die Abwicklung der Zahlungskommunikation durch einen Fullservice-Anbieter die Kunden verwirren oder sogar verärgern: Wenn im Checkout plötzlich die AGB eines Rechnungszahlungs-Dienstleisters akzeptiert werden sollen und mitgeteilt wird, dass die persönlichen Daten an diesen weitergehen, schreckt das manche Kunden ab. Schließlich sind es meist gerade datenschutzsensitive Kunden, die die Rechnungsoption wählen. Da es oft gerade dieses Klientel ist, das mit dem Rechnungskauf für den Shop gewonnen werden soll, würde ein solcher Effekt das Ziel der Konversionssteigerung gefährden.
Und schließlich zeigen sich manche Shop-Kunden irritiert, wenn sie nach dem Kauf auf ein Konto einzahlen sollen, das nicht auf den Namen des Shops lautet oder sie können eventuelle Mahnungen nicht richtig zuordnen. Dann sprechen Kunden statt des Dienstleisters mitunter den Händler an, dem hierdurch der eigentlich „outgesourcte Aufwand Kundenkommunikation“ wieder auf die Füße fällt.
Worauf achten bei der Anbieter-Auswahl?
Händler, die sich für die Bequemlichkeit und Sicherheit eines Dienstleisters entschieden haben, sollten bei der Auswahl und in den Verhandlungen besonders die folgenden Themen beachten:
Leistungen
Welche Leistungen werden abgedeckt? Typischerweise übernehmen die Anbieter alle notwendigen Prozesse und Prüfungen für den Rechnungskauf, wie:
- Identitätsprüfung, Scoring und Bonitätsprüfung
- Risikomanagement
- Debitorenmanagement
- Mahnwesen
- Forderungsankauf (Zahlungsgarantie)
Dabei ist es wichtig, sich die Abläufe auch einmal im Detail anzusehen: Wie läuft das Mahnverfahren, wie „kundenschonend“ ist die Kundenansprache dabei? Wie flexibel ist der Dienstleister bei Sonderfällen? Wenn wertvolle Stammkunden durch einen rüden Mahnlauf und hohe Mahnkosten verschreckt werden, tut dies dem Dienstleister nicht weh – dem Händler dagegen sehr!
Integration
Die Anbieter verfügen in der Regel über kostenfreie Plug-Ins für etliche Standard-Shopsysteme, um eine möglichst einfache Integration in den eigenen Webshop sicherzustellen.
Wer bereits für andere Zahlarten mit einem Payment-Service-Provider zusammenarbeitet, der den Rechnungskauf selbst oder über Drittanbieter anbindet, hat es besonders leicht. Erich Gassner, General Manager & Handlungsbevollmächtigter der mPAY24 GmbH, einem österreichischen Payment-Serviceprovider, erklärt die Vorgehensweise: „In Magento und anderen gängigen Shopsystemen reicht eine einfache Aktivierung des betreffenden Plug-Ins, um unsere Lösung anzubinden. Das geht im Handumdrehen. Wer bereits an unsere Systeme angebunden ist, kann die Rechnungskauf-Option mit einem einfachen Klick aktivieren.“
Während viele Anbieter die Vollintegration in die Bestellseiten des Webstores ermöglichen und somit die Benutzerführung übergangslos im Online-Shop belassen, bieten andere die Bezahlabwicklung in einem Popup-Fenster beziehungsweise mittels einer Weiterleitung auf eine speziellen Bestellübersichtseite des Zahlungsanbieters an. Meist kann dabei diese Seite im Layout wenigstens teilweise an das Erscheinungsbild des Online-Shops angepasst werden.
Für den Händler gibt es in der Regel ein Administrations-Backend. Hierin wird der Warenversand quittiert, um die zugehörige Rechnung zu aktivieren. Zudem werden hier Stornos oder Retouren eingetragen. Manche Dienstleister listen dem Händler hier auch die Ablehnungen auf, was sehr vorteilhaft ist. Denn nur so kann der Händler ein Gefühl dafür bekommen, wie hoch die Risiken sind und wo diese liegen.
Konditionen
Die Konditionen der jeweiligen Anbieter setzen sich üblicherweise aus einer transaktionsabhängigen Vorgangsgebühr sowie dem Disagio für erfolgreiche Rechnungsstellungen zusammen. Manche Anbieter verlangen auch eine feste Monatsgebühr. Im Fall von Retouren können zudem für die Rückabwicklung Zusatzkosten entstehen.
Erich Gassner erläutert: „Mit Billpay und Klarna bieten wir unseren Händlern bewusst zwei Partner mit unterschiedlichen Abrechnungsmodi an. Denn bei Shops, die nur wenige Rechnungsbestellungen im Monat generieren, rentiert sich ein Modell mit monatlichen Fixkosten oft nicht.“
Die Höhe des Disagios wird von den Anbietern individuell nach Sortiments- und Händlerrisiko kalkuliert. So werden in der Regel Bücher oder Produkte aus den Bereichen Freizeit und Hobby als risikoarm angesehen, Modeartikel und Möbel als mit mittlerem Risiko und Kfz-Zubehör und Consumer Electronic als mit hohem Ausfallrisiko behaftet. Das Disagio wird bei späteren Retouren oder Kundenstornos zurückbezahlt, allerdings behalten die Anbieter die Vorgangsgebühr meist als Stornogebühr ein, um den zusätzlichen Bearbeitungsaufwand abzudecken.
Wichtig: Anbieter behalten sich gerne eine Erhöhung des Disagios bei erhöhter Inkassoquote vor. Dieser Punkt sollte gerade im Zusammenhang mit der Mindestlaufzeit des Vertrags besonders berücksichtigt werden!
Annahmequote
Den Prozentsatz der angefragten Fälle (Kunden, die die Zahlart Rechnungskauf auswählten), die nach der Bonitäts- und Identitätsprüfung tatsächlich zum Rechnungskauf führen, kann kein Anbieter verlässlich vorhersagen. Zu sehr hängt diese Annahmequote vom Sortiment und der Kundenstruktur des Webshops ab. Allerdings ist es im Händlerinteresse, dass die Annahmequote gut ist. Gerade in der Anfangszeit der Rechnungsdienstleister zeigten einzelne Anbieter ein Ablehnungsverhalten, das darauf schließen ließ, dass sie eher am Aufbau ihrer Datenbanken interessiert waren, denn an tatsächlichen Rechnungs-Abwicklungen. Hierzu kann es daher lohnen, in Händlerforen nach dem Annahmeverhalten des gewünschten Anbieters zu recherchieren. Je nach Anbieter gelten zudem unterschiedliche Limits hinsichtlich Warenkorbgröße und Kreditrahmen des Kunden.
Auszahlung
Das Guthaben wird üblicherweise 8-16 Tage nach Warenversand (= Rechnungsstellung) abzüglich des vereinbarten Disagios ausbezahlt. Teilweise beteiligen Drittanbieter den Shop-Betreiber jedoch an etwaigen Zahlungsverzügen der Käufer und zahlen solche Guthaben erst zu einem späteren Zeitpunkt aus. Geht eine offene Rechnung also in die Mahnung oder wird sogar uneinbringlich, kann es passieren, dass sich die Auszahlungsfristen auf mehr als 30 Tage strecken. Auch wenn vermutet werden darf, dass die meisten Rechnungen fristgerecht bezahlt werden, ist es wichtig, im Einzelfall zu prüfen, inwiefern mögliche „natürliche Zahlungsverzögerungen“ (Banklaufzeiten, Feiertage/Schulferien) ein beachtenswerter Punkt bei der Entscheidung für einen Fulfillment-Anbieter darstellen. Dies könnte beispielsweise bei Shops mit dünner Liquiditätsdecke ein wichtiges Kriterium sein. Noch kritischer ist es natürlich, wenn sich der Anbieter das Recht vorbehält, Forderungen an den Shop-Betreiber zurück zu übertragen.
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Nicola Straub arbeitet seit 1999 als Projektleiterin für Internetplattformen. Darüberhinaus arbeitet sie als Workshopleiterin und Coach für Online-Marketing-Projekte und Content- Entwicklung. Seit 2005 schreibt sie regelmäßig auf shopanbieter.de und anderen Portalen über E-Commerce-Themen und ist Autorin vieler Ratgeber sowie eines E-Commerce-Buches. |