Storytelling im E-Commerce
Die meisten Kaufentscheidungen fällen Konsumenten unbewusst. Dann helfen auch keine Argumente mehr. Der renommierte Harvard-Professor Gerald Zaltman schätzt, dass 95 Prozent (!) unserer Kaufentscheidungen vom sogenannten Autopiloten getroffen werden.
Wer sich das nicht vorstellen kann, mache bei seiner nächsten Kaufentscheidung einfach einen Selbstversuch und beobachte sich selbst. Zumindest in den meisten Fällen ist es ganz eindeutig und immer derselbe Ablauf: Erst kommt die Entscheidung „haben wollen“ und dann folgt die innere Begründung, warum man das kaufen sollte. Da wird dann im inneren Dialog mit aller Finesse versucht Argumente zu finden, warum dieser Kauf sogar unter rationellen Aspekten sinnvoll ist. Gegenargumente werden zwar „gehört“, aber nur sehr abgeschwächt durch einen Filter wahrgenommen. Dieser Filter funktioniert übrigens auch in die andere Richtung, wenn man etwas nicht möchte. Nur dass dann die Pro-Argumente abgeschwächt werden.
Zugegeben, die Zeit, die zwischen unbewusster Kaufentscheidung und dem darauffolgenden, vermeintlich rationellem Dialog bzw. Abwägen der Argumente vergeht, sind nur Sekundenbruchteile. Dennoch konnte ich dies im Selbstversuch ganz klar für mich beweisen. Erst die unbewusste Entscheidung, dann das vermeintlich rationelle Sammeln von Argumenten um die Entscheidung zu untermauern bzw. zu rechtfertigen.
Und wenn dem so ist, was die Wissenschaft feststellte, macht es auch für Online-Händler Sinn, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Der Blick auf Verkaufstechniken, die psychologische Effekte berücksichtigen, lohnt daher immer wieder. Storytelling – zu Deutsch „Geschichten erzählen“ – ist dabei eines der probatesten Mittel, um Produkte emotional aufzuladen und den „Haben wollen“-Reflex auszulösen.
Im Storytelling liegt eine hervorragende Chance für mehr Abverkauf und Wiederbesucher.
Ein wichtiges Ziel dabei sollte sein, durch Information und glaubwürdige Beratung aus dem Nutzungserlebnis in Onlineshops ein einzigartiges Markenerlebnis zu schaffen. User sollen den Shop einfach nutzen können und im authentischen Umfeld perfekt informiert und beraten werden. Oder wie Johannes Altmann, Usability Branding-Experte von Shoplupe, allen Online-Händlern rät:
„Starten Sie den nächsten Schritt und verlassen Sie die Masse der belanglosen und austauschbaren Online-Shops. Werden Sie einzigartig und begehrlich.“
Individuelle Geschichten rund um das Produkt und die Company sind hierfür sicherlich eine der besten Möglichkeiten.
Warum Geschichten so gut funktionieren
Das menschliche Gehirn speichert Informationen verknüpft mit Emotionen ab. Dabei sind bei jeder Geschichte Dinge wie die Zielgruppe und deren Kultur, sowie die jeweiligen Werte und Normen zu berücksichtigen. Ziel muss sein, dass sich die Leser, also Shop-Besucher, in die Situation hineinversetzen und diese selbst nachempfinden können. Nur wenn eine Geschichte gezielt Gefühle in uns weckt, bleibt diese oder die zugehörige Botschaft im Gedächtnis.
Da die Besucher zu Käufern gemacht werden sollen, gilt es dessen Emotionen Argumente für den Kauf zu bieten. Dr. Christian Holsing von der Lynx-Consulting GmbH, macht fünf emotionale Gründe für eine Kaufentscheidung aus:
- Angst
- Belohnung
- Jagd- bzw. Sammler-Instinkt
- Spieltrieb
- Sexualtrieb
Diese Erkenntnisse können Online-Händler nutzen, indem sie mit ihrer Botschaft gezielt auf einen der fünf Bereiche eingehen. Nur wenn Produkte zum direkten Problemlösen genutzt werden, können diese Aspekte zweitrangig bearbeitet oder ignoriert werden.
Zutaten einer guten Geschichte
Im Prinzip geht es beim Storytelling schlicht darum, eine spannende Geschichte zu erzählen. Im Normalfall kommen dabei die klassischen schriftstellerischen Komponenten ins Spiel: ein Konflikt und dessen Bewältigung, ein Held oder eine Heldin und ein ordentlicher Schuss an Spannungskurve.
Aber mal ganz ehrlich – für normale Online-Shops muss es auch eine Nummer kleiner gehen. Hier genügt es, wenn relevante Inhalte Fragen beantworten, Probleme lösen, unterhalten, inspirieren oder zum Mitgestalten anregen. Sie wollen nicht verkaufen, sondern berühren.
Angenommen ein Modehändler betreibt einen Blog, um über sein Unternehmen regelmäßig zu berichten. Welche Geschichten könnte er über Mode erzählen? Eine ganze Menge abseits des Handels: von der Beschreibung der verschiedensten Stoffe, deren Eigenschaften, den Herkunftsländern, Produktion und Veredelung usw. Und dann gibt es noch die verschiedenen Farben oder wann, wie und wo Trends oder klassische Bekleidungsstücke entstanden. Wer weiß schon etwas zur Geschichte eines Dufflecoats? Die einzige Bedingung dabei ist, dass die Geschichte einen emotionalen Aufhänger benötigt.
Marketing-Berater Christof Steinke hat für netzaktiv.de fünf wertvolle Tipps erarbeitet:
- Halte es einfach.Nicht zu viele Figuren, nicht zu viele Erklärungen.
- Halte es kurz.Im Web können die Leser sofort wegklicken, wenn es langweilig wird.
- Starte mit einem Kracher. Nur dann wird die Geschichte gelesen.
- Arbeite mit starken Bildern.Die besten Geschichten sind Bildergeschichten mit wenigen Worten.
- Mache es witzig.Wenn deine Leser lachen, hast du gewonnen.
Grau ist alle Theorie oder warum Apfelmus nicht gleich Apfelmus ist
Content-Stratege Udo Butschinek, Mitinhaber von Zimmer19, einem Spezialisten für CMS-Webshop-Integration, hebt in seinen Blog-Beiträgen gerne die Produkttexte von Manufactum.de hervor:
„Wenn die lang und breit erzählen, wie genau ein Apfelmus hergestellt wird und es beschreiben wie einen Wein, möchte man das Apfelmus am liebsten direkt vom Bildschirm lecken.“
Doch zum Vergleich zuerst ein Blick auf die Produktbeschreibung von Allyouneed, der Deutschen Post-Tochter, welche ja den Online-Lebensmittelhandel revolutionieren möchte.
Das Apfelmus von HAK wird aus den besten und aromatischsten Äpfeln hergestellt. Es schmeckt hervorragend zu Kartoffelpuffer und Pfannkuchen.
Emotion und Kaufanreiz ist etwas anderes. Wie denn auch, ist doch nur Apfelmus, könnte man meinen.
Im Vergleich dazu, der Produkttext zu Apfelmus beim Onlineshop von Manufactum.de (leider nicht mehr online, daher mit freundlicher Erlaubnis von Udo Butschineks Blog kopiert).
Diese Apfelmus-Spezialität, die wir gemeinsam mit dem Originalhersteller nach dem ursprünglichen Rezept haben wiederaufleben lassen, wird wie unser Frisch-Pflaumenmus nach Hausfrauenart in Spanien gemacht – in einer alten Produktionseinrichtung, die der Hersteller aus Deutschland dorthin gerettet hat. Dabei kommen ausschließlich Äpfel der Sorten Golden Delicious und Renette zum Einsatz, die aus ausgewählten Plantagen in Nordspanien stammen: Dort wachsen sie langsamer als im warmen Süden. Sie werden nach der Ernte direkt frisch weiterverarbeitet. Der Golden Delicious zeichnet sich durch sein knackiges, saftiges Fruchtfleisch aus, das gehaltreich süß ist und edel gewürzt schmeckt. Dank seines hohen natürlichen Fruchtzuckergehalts ist ein Nachzuckern des Apfelmuses mit Kristallzucker nur in geringem Maße nötig (hier 3%). Die Renette ist eher säurebetont. Sie wird sonst hauptsächlich für den Sidra, den spanischen Apfelwein, verwendet und gibt diesem Apfelmus seine Spritzigkeit. Die Sorte ist rar, sie macht nur rund ein Prozent des europäischen Apfelanbaus aus, und dementsprechend begehrt, denn nur sie liefert genau die gewünschte Säure. Eine geringe Zugabe von reinem Zitronensaft rundet das Säurespiel harmonisch ab, etwas zugesetzte Ascorbinsäure (Vitamin C) verhindert, dass das Apfelmus beim Verarbeiten oxydiert. Das gekochte Apfelmus wird noch heiß in Dosen abgefüllt, damit garantiert ist, dass keinerlei Lichteinwirkung die Qualität verändern kann. Nach dem Abfüllen werden die Dosen sofort gekühlt, wodurch auch die sämige Konsistenz und die appetitliche Farbe des Apfelmuses erhalten – im Wortsinne konserviert – bleiben.
Im Netz lassen sich im Übrigen noch weitere Praxisbeispiele und Anleitungen finden. Einen wertvollen Leitfaden zur Definition seiner eigenen Erfolgsstory bietet beispielsweise der kostenlose Praxisratgeber „Shop Usability Branding – wie Online-Shops zur unverwechselbaren Marke werden“ vom Usability-Experten Johannes Altmann, Geschäftsführer von Shoplupe.
Die vollständige Ausgabe mit allen Artikeln, kann hier kostenlos als PDF-Datei heruntergeladen werden.
Bitte beachten: Der Original-Artikel im Magazin, enthält möglicherweise hilfreiche Grafiken, Abbildungen oder Charts, die hier nicht dargestellt werden.
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Peter Höschl bewegt sich seit 1997 beruflich im Internethandel, gilt als E-Commerce Experte und verfügt über große gelebte Praxiserfahrung. Er ist Autor mehrerer Fachbücher und einer Vielzahl von Fachartikeln zu allen Aspekten des Onlinegeschäfts. Heute berät und begleitet er vor allem mittelständische Unternehmen im E-Commerce.
Webseite: http://www.shopanbieter.de |